Das Projekt „Exzellenz-Initiative“ – Ein Coaching-Bericht
1. Eckdaten
Das Projekt „Exzellenz-Initiative“ in einer mittelständischen deutschen Kanzlei dauert in diesem Fall vom ersten Gespräch bis zum flächendeckenden Einsatz neu erlernter Methoden sechs Monate und kostet c.a. 21.000 Euro Honorar + MWSt. + Spesen. .
Es umfasst drei Vorbereitungsgespräche vor Ort, fünf Interviews à 30 Minuten teilweise telefonisch, vier Telefonkonferenzen, drei Seminartage, ein Kick-off-meeting fünfstündig sowie vier zweistündige Coachings-on-the-job [2].
28 Führungskräfte aus vier Hierarchieebenen sind daran aktiv beteiligt. Diese Ebenen sind: Partner, angestellte Anwälte, Bürovorsteher und head of organization.
Alle anderen Mitarbeiter werden durch die Verpflichtung zu „feed-back an ihre „Chefs“ ebenfalls zur Mitarbeit motiviert.
2. Anamnese
Das erste Hinsehen ergibt Positives: Die Kanzlei ist mit derzeit 23 Berufsträgern schnell gewachsen, nach außen erfolgreich (im Patenbereich lange schon auch International), drei Standorte, gute C.I., eindeutiges Segmentieren von Mandanten, elegante Räume und langjährige, engagierte Mitarbeiter.
Kanzleiziele sind bereits konkret definiert; Kanzleiwerte kann jeder Mandant im Empfangsbereich – eingewebt im Teppich! – lesen: Partnerschaft, Erfolg und Service.
3. Wodurch kommen Konflikte hoch?
Durch Neues. Deshalb fürchten Anwälte Neues auch oft. Mit Neuem könnten sie gut umgehen – und haben sogar eine große Sehnsucht danach.
Doch alte Konflikte überfordern und nerven sie.
In diesem Fall brechen durch die Eröffnung des vierten Standortes alte Konflikte auf.
4. Bemerkungen in der Partnerrunde
Das Lockstep-System müsse jetzt, anlässlich der Erweiterung, endlich überdacht und reformiert werden, meinte einer, um „die engagierten jüngeren Kollegen zu halten und neue zu bekommen.“
Besonders hohe Umsätze werden – nicht erst seitdem – kritisch von den einen beäugt, besonders niedrige Umsätze von den anderen auch.
Das 30 Jahre alte Lockstep-System wird – seit kurzem auch kanzleiöffentlich – von Umsatzstarken als ungerecht empfunden („Die Partner ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus“) und kritisiert.
Von unten drängen jüngere Partner und angestellte Anwälte außerdem auf eine Modernisierung der Strukturen, besonders in Sachen Führung.
5. Das berühmte Fass läuft stets tropfenweise über.
Die Kündigung einer beliebten und erfahrenen Büroleiterin löst spürbares Entsetzen aus.
Sie war zwei Wochen krank gewesen und nahm bei ihrem als „ruppig“ empfundenen Abgang 26 Jahre high-end-Erfahrung, zwei Assistentinnen und eine freiwillige Abfindungszahlung in Höhe von 62.000 Euro mit.
6.Was war geschehen?
In ihrer Abwesenheit hatte ein Anwalt – ohne sie zu beachrichtigen – zwei offizielle Personalgespräche mit ihren Teammitgliedern geführt; eins davon hatte er für eine formelle Abmahnung genutzt.
Der Anwalt hatte „ihr Arbeit abnehmen“ (O-Ton Anwalt) wollen und stattdessen einen „irreparablen heimtückischen Vertrauensbruch“ (O-Ton Mitarbeiterin) begangen.
Eine tiefere Kränkung konnte eingangs vermutet werden, da man sie nicht – „auch nicht durch Gehaltserhöhung (O-Ton)“ – zum Bleiben bewegen konnte.
7. Die Arbeit mit einem guten Coach nervt.
Ein guter Business-Coach interessiert sich nicht übermäßig für Schreckliches aus der Vergangenheit und auch nicht allzu lange für Symptome in der Gegenwart, sondern für die Ziele in der Zukunft.
Daher stellt er stets unbequeme Fragen wie „Möchten Sie das derzeitige Problem ernsthaft und für immer loswerden?“ Wer dann „Ja“ antwortet, wird nach dem konkreten Ziel in der Zukunft befragt werden.
In einer zweistündigen, durch den Coach moderierten Partnerversammlung entstand das Ziel, „Führung so zu gestalten, dass Mitarbeiter in allen Standorten eigenständig arbeiten und sich so wohl fühlen, dass sie nicht mehr krank werden oder kündigen müssen.“
8. Die notwendige Vereinheitlichung von Führungsverhalten
Dieses Unterfangen löst sofort bei allen Anwälten große Bedenken aus, denn es torpediert ihre egozentrische Definition von Individualismus.
Für Anwälte impliziert offensichtlich dieses – objektiv freiheitlich konnotierte – Wort die Einschränkung von Freiheiten anderer.
Wer mit dieser Art von „Individualismus“ argumentiert, zeigt seine Gleichgültigkeit gegenüber eigenen Mitarbeitern: Er bringt es nämlich fertig, Mandanten gegenüber Versprechen zu brechen und daduch die Arbeitszeit der Assisentin mit unnötigen – und nicht nur aus Mandantensicht völlig berechtigten – telefonischen Dauerbeschwerden zu füllen.
9. Hierarchiefurcht macht handlungsunfähig.
Der Spruch „Wir haben hier flache Hierarchen“ – gepaart mit dem o.a. unseligen Diktum der „Individualität“ – ist das historische Erbe aus jenen drei kleinen Kanzleien, die sie vor fünf Jahren noch waren.
Genau diese Hierarchiefurcht führt jedoch in Sozietäten zu Handlungsunfähigkeit: weitschweifige Gesprächsrunden in nicht entscheidungsbefugten (!) Ausschüssen, kombiniert mit mit irrwitzig hohen Reise- und overhead-Kosten sowie mit fehlenden gemeinsamen (Führungs-)Kulturen und fehlenden verlässlichen Einstellungskriterien für die Aufnahme neuer Partner führen dazu, dass jeder Anwalt vor sich hinwurschteln darf.
10. Woher soll da das Vertrauen kommen, das Absprachen so erfolgreich macht?
Für Sozietäten ist diese Aufstellung nicht mehr passend.
„Schlanke“ Strukturen und dezentrale Hierarchien müssen her; die „Rolle des Teamleiters“ muss in jedem Dezernat erst vereinheitlicht, dann geübt und schließlich ständig verbessert werden.
11. „Exzellenz“ ist immer schon da.
Geringer Krankenstand, fehlende Fluktuation und hohe Umsätze sind Indizien für perfekte Team-Führung, sofern sie zeitgleich auftreten.
Gemeinsam erstellten also die Partner eine Liste von fünf Kollegen, in deren Dezernaten diese Faktoren seit langem beständig für Erfolg sorgten.
In Interviews ermittelte der Coach die besondere „Exzellenz“ dieser Führungskräfte:
- Durch welches Führungsverhalten genau fühlen sich in Ihrem Dezernat die (anwaltlichen) Mitarbeiter so wohl, dass sie nicht krank werden, eigenständig arbeiten und nicht kündigen?
Die Ergebnisse flossen u.a. in ein Seminarprogramm ein, das allen Führungskräften der Kanzlei (in hierarchisch bunt gemischten Lerngruppen) alltägliche Führungstechniken vermitteln würde.
Alle Teilnehmer verbesserten dieses Seminarprogramm gemeinsam.