Der Kanzlei-Schlendrian kommt und bleibt nur auf Einladung.
Anwaltskanzleien sind ja nicht gerade als Wellness-Oasen bekannt.
Wir schauen jetzt durch das Schlüsselloch in eine kleinere Kanzlei mit sechs Anwälten, acht Rechtsgebieten und zehn Mitarbeiterinnen.
Der Schlendrian hatte vor längerer Zeit hier Einzug gehalten.
Er war bei Mandanten und Mitarbeitern ungefähr so beliebt wie die Staubbällchen unterm Sofa.
Diese Themen sind geeignet, den Schlendrian zu besiegen:
- Wo der Wille ist, braucht es nur noch gute Lehrer
- Alle müssen mitmachen
- Seien Sie pünktlich
- Lieben Sie Früh- oder Spätschichten
- Leben Sie Verlässlichkeit vor
- Optimieren Sie Ihre Partnersitzungen
- Empathie
- Aufmerksamkeit
- Beschwerdemanagement
- Fehlertoleranz
- „MMM“
- Arbeitszeiten
- Feed-back Systeme
- Mitarbeitergespräche
- Anweisungen
- Servicesprache
Subjektive Defizitbeschreibungen im „Schlendrian-Fragebogen“
Teilnehmer beschreiben – zur Vorbereitung eines Coaching-Tages – eigene Defizite und das Verbesserungspotenzial anderer ausschließlich aus IHRER Sicht in konkreten Verhaltensweisen ohne Verallgemeinerung, Passiv oder Konjunktiv.
Themen sind absichtlich wild gemischt und sollen „aus dem Bauch“ beantwortet werden:
Mitarbeiterführung in der Kanzlei
Kritik und Lob
Anweisungen
Privaten Ärger ins Büro bringen
Akten suchen
Fristsachen
Arbeitsatmosphäre
Partnersitzungen
Begrüßung von Gästen am Empfang
Begrüßungen innerhalb des Kanzlei-Teams
Unpünktlichkeit
Terminkalender
Versprechen
Mandantenservice
Empfangspersonal
Assistentinnen
Partnerstatus
Zickenkrieg
Diktate
Assistenz selbständig
Mitarbeitergespräche
Delegation
Ergänzungen durch TN
Das Sekundärtugenden – Revival: Alle müssen mitmachen!
Der externe Schlendrian-Jäger („Der Anwalts-Coach“) verordnete ein Sekundärtugenden – Revival auf allen Ebenen der Kanzlei:
Höflichkeit, Pünktlichkeit und absolute Verlässlichkeit wurden zur Erkennungsmelodie der Kanzlei.
Die Partner selbst lebten diese Tugenden vor, denn sie mussten leider lernen: eine Änderung in der Kanzleikultur gehört zu den Chef-Aufgaben in einer Anwaltskanzlei und kann daher nur top-down eingeführt werden.
Seien Sie pünktlich!
„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige!“ war fortan die Regel, die alle einhalten mussten: Arbeitsbeginn war für alle Mitarbeiter spätestens 8.45 Uhr „s.t.“ – und nicht allen war bis dahin klar gewesen, dass das auf Deutsch heißt „Ohne Zeit“, dass also alle um 8.45 Uhr an ihrem Arbeitsplatz sein mussten und nicht erst um dese Zeit eintreffen durften.
Verspätung wurde unter empfindliche Strafe gestellt.
In der
Viertelstunde bis zum ehemaligen Arbeitsbeginn um neun Uhr wurden vom Anrufbeantworter
und aus den E-mails die A-Aufgaben ausgesondert und um Punkt neun Uhr jeden Tag den Anwälten
live oder per E- mail vorgelegt!
Lieben Sie Früh- oder Spätschichten!
Einige Anwälte hatten unter ihrem Schreibtisch einen Nordfriedhof und einen Südfriedhof eingerichtet.
Auf dem Nordfriedhof waren viele kleine Akten gelagert mit langweiligen, unergiebigen Rechtsfällen (2 x 0,60 cm hoch hintereinander), auf dem Südfriedhof residierten spannende Rechtsfälle mit komplexer Materie und gutem Honorar (0,75 cm hoch).
Zu jeder dieser Akten gehörte aus diversen Gründen die Weigerung der Kontaktaufnahme zum Friedhofsbewohner.
Damit war jetzt Schluss.
Die Friedhofskollegen hatten verstanden, dass sie viel Geld auf dem Friedhof liegen ließen und c.a. 20 ungehaltene Mandantenanrufe pro Tag dadurch hervorriefen.
Sie lernten, dass sie alle versprochenen Rückrufe einzuhalten hatten – auch die zu den Friedhofsbewohnern.
Der Satz „Den will ich jetzt nicht sprechen“ wurde für immer verboten, wenn er ohne Lösung (fester Ersatz-Telefontermin) blieb.
Die betroffenen Friedhofsverwalter vereinbarten zwei Monate lang Frühschichten: sie nutzten die sehr frühen Morgenstunden zum Abarbeiten ihrer Nord- und Südfriedhöfe.
Gerüchteweise hörte man, dass es ihnen sogar Spass machte, weil man jeden Morgen um halb sechs mit Kaffeebechern in der Hand zu dritt anrückte!
Dreimal Nordfriedhof wurde mit einmal Südfriedhof belohnt
Jeden Morgen um 9 Uhr lagen wieder vier neue abgeschlossene Akten pro Anwalt auf dem Ausgangstisch.
Leben Sie Verlässlichkeit vor!
Die Anwälte kamen nie wieder grußlos, mürrisch oder unangekündigt zu spät in die Büroräume. Sie erledigten alle Rückrufe in der versprochenen Zeit und ließen ihren Terminkalender von der Assistentin takten.
Sie legten Fristsachen – da auch sie A-Aufgaben sind (!) –
am Tag ihres Eingangs zur weiteren Verfügung vor.
Die Formulierung „c.t.“ („cum tempore“ = mit Zeit) galt nur noch für die Gäste der Mandantenevents, für private Besucher sowie für diverse Post- und Paketboten.
Jeder Anwalt kündigte dem Empfang jeden Besucher rechtzeitig mit Uhrzeit und gewünschtem Konferenzraum an und verteilte an die Assistentinnen Listen mit Hausaufgaben, die der Mandant vor seinem ersten Gesprächstermin zu erledigen hat.
Optimieren Sie Ihre Partnersitzungen
Die Partner reduzierten die Anzahl ihrer Partnerversammlungen auf die Hälfte und versahen jede mit einer festen Tagesordnung, zu der Wünsche bis zum Tag vorher eingereicht werden konnten. Umschichtig moderierten sie.
Der Moderator lud ein und war „head of ceremony“.
Er begann und beendete die nun nur noch 14 – tägigen Partnerversammlungen auf die Sekunde pünktlich – dafür mit fester Tagesordnung.
Er zählte Kollegen scharf an, wenn einer gegen die Regeln verstieß.
Wer nicht oder unentschuldigt zu spät teilnahm, hatte kein Stimmrecht, schon gar nicht im Nachhinein.
Empathie
Die Anwälte wussten darüber hinaus plötzlich Bescheid über die Masern des Kindes der Empfangsassistentin und über die besonderen Sprachkenntnisse der Auszubildenden, die trotz ihres Teenie-Alters
von 19 Jahren Übersetzungsaufgaben vorbereitete und bald begann, italienische Mandantengespräche
simultan zu übersetzen.
Alle Anwälte, die ihre Arbeitszimmer verließen, verpflichteten sich, jeden entgegen kommenden Kollegen und Mitarbeiter zu grüßen, mindestens einmal täglich auch mit Namen.
Aufmerksamkeit
Kommunikation hatte sich grundlegend geändert: Man sprach plötzlich miteinander!
Der Anrufbeantworter wurde gerade in der Mittagszeit durch lebende Stimmen ersetzt, gewisse Redewendungen wie
„Der ist nicht da“, „Das geht nicht“ oder: „Er ist leider in einer Besprechung“ landeten unwiederbringlich
auf der Müllhalde der Geschichte.
Die Assistentin wurde von da an dem Mandanten persönlich vorgestellt.
Sie schrieb eine eigene Begrüßungsmail an den neuen Mandanten.
Besondere Vorlieben des Mandanten kamen von da an per Notiz in die Kundenkartei und wurden
beim nächsten Telefonat oder Besuch angesprochen: „Was macht inzwischen der Oldtimer? Alles
wieder repariert?“
Beschwerdemanagement
Freude über Beschwerden wurde eingeübt.
Jede Beschwerde zog von da an automatisch die Frage nach „weiteren Optimierungsvorschlägen“ nach sich, und manchmal kam auch noch was!
Was da kam, wurde jeweils in der Partnerrunde und manchmal mit den Assistentinnen besprochen
und hatte sofortige Konsequenzen für alle zur Folge.
Der Beschwerdeführer wurde informiert über die Maßnahmen, die seiner Beschwerde folgten.
Fehlertoleranz
Die Fehlertoleranz wurde ganz offiziell erhöht; allerdings immer nur für Fehler, die erstmals aufgetreten waren.
Wiederholten sie sich, waren üble Konsequenzen angedroht, übrigens auch
für die Anwälte.
Assistentinnen und Anwälte versammelten sich in unregelmäßigen Abständen im „Fehler-Chat“ und berieten untereinander, manchmal ohne großen Termin beim Teemachen in der Küche, wie sie diesen Fehler für immer verhindern konnten.
Die Lösung wurde der jeweils anderen Gruppe beim „MMM“ (nächster Punkt) mündlich vorgetragen und schriftlich festgehalten, damit weitere Kanzleimitarbeiter eine Art „Pflichtenheft“ erhielten.
Es setzte eine „Jagd“ ein nach besonders kreativen Ideen für die Fehlerkorrektur und -vermeidung.